1978 kam Louise Brown im englischen Oldham zur Welt. Sie war das erste sogenannte „Retortenbaby“, also der erste Mensch, welcher durch eine „Künstliche Befruchtung“ gezeugt wurde. Seither hat sich vieles getan – angefangen von weltweit gültigen Standards und Verfahren, über die Entwicklung und Etablierung neuer Technologien bis hin zu immer breiter werdenden Akzeptanz in der Gesellschaft. Im Grunde eine Erfolgsgeschichte.
Damals wie heute gibt es aber Situationen, welche die Grenzen der Fortpflanzungsmedizin, im Rahmen von ethisch- moralischen Grundsätzen und gesetzlichen Regelungen, aufzeigen. Besonders spürbar wird dies anhand von Fällen, wo diese Grenzen, in teils schockierender Art und Weise, überschritten wurden. Hierzu ein paar Beispiele:
• Neue Wege der Eizellspende und Genetik mittels Studie an Frauen in Mexiko
Eine kürzlich veröffentlichte Studie postulierte, dass die Gebärmutterspülung eine nicht-chirurgische, minimal-invasive Strategie für die Gewinnung menschlicher Embryonen von fruchtbaren Frauen bietet, die aus medizinischen Gründen keine IVF wollen oder brauchen, die aber eine genetische Präimplantationsuntersuchung (PGT) für Embryonen wünschen. Um diese Hypothese zu beweisen, rekrutierten die Forscher Dutzende junge mexikanische Frauen (→ mehr erfahren).
• Arzt verwendet eigene Spermien für Kinderwunschbehandlung
Aktuellen Medienberichten zufolge, muss sich ein deutscher Reproduktionsmediziner vor Gericht verantworten, der vor einigen Jahrzehnten Behandlung mit Samenspenden vornahm und dabei den Frauen mutmaßlich, ohne deren Wissen, seine eigenen Spermien injizierte.
• 73-jährige Inderin nach IVF Mutter von Zwillingen
Es ist noch nicht allzu lange her, als die Meldung der indischen Nachrichtenagentur IANS um die Welt ging, dass eine 73-jährige Inderin und ihr 80-jähriger Mann kürzlich Eltern von Zwillingen wurden. Die Frau ist damit die älteste, bekannte Mutter weltweit, die mit Hilfe einer IVF-Behandlung Kinder geboren hat. (→ mehr erfahren)
• „Gen-Schere“ erstmals an menschlichen Embryonen angewendet
Mit der sogenannte „Gen-Schere“ (CRISPR/Cas9) lassen sich Gene gezielt und schnell verändern oder ausschalten. Chinesische Forscher haben diese Methode erstmals an menschlichen Embryonen angewendet. Dabei wurde eine Genvariante eingeschleust, die eine HIV Resistenz bewirken soll, also verhindern, dass das HI-Virus in die menschlichen Zellen eindringt. Die betroffenen Babys kamen zur Welt. (→ mehr erfahren)
Kritische Auseinandersetzung als Basis der Aufklärung
In unseren IVF-Zentren distanzieren wir uns von solchen oder ähnlichen Fällen. Wir setzen uns aktiv damit auseinander. So wurde erst kürzlich unsere Stellungnahme zu der oben genannten mexikanischen Studie in einem renommierten Fachmagazin des Springer Verlags, dem „Journal of Assisted Reproduction and Genetics“, veröffentlicht, worin wir diese Studie in mehreren Punkten scharf kritisieren. Ziel ist es, unser wissenschaftliches Engagement in die Aufklärung einfließen zu lassen und damit unsere Paare nach evidenz-basierten und transparenten Kriterien zu beraten. Bei jeder Behandlung stehen für uns die Wahrung ethischer und medizinischer Grundsätze sowie das Patientenwohl und die Gesundheit, vor allem jene der Mutter und des gezeugten Kindes, im Mittelpunkt. Dies sind unumstößliche Grundlagen in der klinischen Praxis.
Durchaus sinnvolle Erkenntnisse und Errungenschaften aus der Forschung werden in der klinischen Praxis mitunter missbräuchlich angewendet – mit teilweise ungeahnten Folgen, wie u.a. das Beispiel der „Gen-Schere“ zeigt. Der Einsatz beim Menschen ist mehr als umstritten. Selbst die Entwickler dieser Methode, die übrigens den diesjährigen Chemie-Nobelpreis dafür bekommen haben, drängen darauf, die entsprechende Forschung besser zu regulieren und unterschiedliche Communities in die Debatte einzubeziehen.
So verdeutlichen die hier angeführten Fälle, in denen Vertrauen missbraucht, etablierte und seriöse Verfahren in Misskredit gebracht wurden und in einigen Situationen auch das Recht auf selbststimmte Reproduktion genommen wurde, welche verheerenden Auswirkungen das Handeln von einigen Wenigen auf die Betroffenen hat und wie auch die gesamte Wissenschaft und Medizin in Verruf gebracht wird.
Vorgehensweise auf Basis von Ethik, Evidenz und Empathie
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Reproduktionsmedizin, besonders im Hinblick auf die Entwicklung einer modernen und offenen Gesellschaft, in Verbindung mit dem demografischen Wandel, eine bedeutende Rolle zuteil wird. Umso wichtiger sind international gültige Regulierungen, Transparenz sowie verantwortungsvolles Vorgehen aller Beteiligten. Medizinische Therapien sollten nie aufgrund von Hybris, Profilierungssucht und monetären Interessen geleitet werden, sondern stets auf der Grundlage von Ethik, Evidenz und Empathie („Triple E“) erfolgen.
Links:
» Medical research and reproductive medicine in an ethical context: a critical commentary on the paper dealing with uterine lavage published by Munné et al.
(Artikel | https://link.springer.com)
(Beitrag | http://www.kinderwunsch-blog.com)
» CRISPR/Cas9 – Methode zur Veränderungen von Genen birgt ungeahnte Risiken
(Beitrag | http://www.kinderwunsch-blog.com)
» Leistbare Kinderwunschbehandlung – heute und morgen
(Beitrag | http://www.kinderwunsch-blog.com)
» „And here she is… THE LOVELY LOUISE“
(Beitrag | http://www.kinderwunsch-blog.com)
(Startseite | http://www.kinderwunsch-blog.com)
(Seite | http://www.kinderwunsch-blog.com)